Als Yuki erwachte, fand sie sich alleine in dem großen, breiten Bett wieder. Wo ist...?, fragte sie sich benommen, während sie sich herum wälzte. Nach und nach kamen die Erinnerungen an die letzte gemeinsame Nacht zurück. Kaname hatte sie in seinen Armen gehalten... sie mit seinem Körper umfangen... seine Lippen hatten ihren Körper erkundet... und sie hatte es widerstandslos über sich ergehen gelassen. Mehr noch, sie hatte seine Liebkosungen gerne empfangen, denn er hatte damit die Panik zurück gedrängt, die in ihrem Inneren sie regelrecht um den Verstand bringen wollte.
Mühsam richtete Yuki sich auf und sah schlaftrunken um sich. Zuerst musste sie aber ihren Haarvorhang lichten, ehe sie überhaupt etwas sehen konnte. Seufzend strich sie sich die ungewohnt langen, vollen Strähnen über die Schultern. Die Laken und Bettdecke war völlig zerknüllt, nicht mehr blütenweiß, wie sie vermeinte sich zu erinnern. Als ihr Blick sich klärte sah sie überall dunkle Flecken und ein verschmiertes Rostbraun - getrocknetes Blut. An ihren eigenen Fingern sah sie Spuren von getrocknetem Blut. Kanames Blut. Unwillkürlich leckte sie ihre Fingerspitzen ab und genoss es sekundenlang. Es schmeckte metallisch und verursachte ein Kitzeln in ihrem Hals. Im nächsten Moment zuckte sie zusammen und fragte sich entsetzt, warum sie das getan hatte. Als sie sich aus der dicken Bettdecke schälte, bemerkte sie, dass sie völlig nackt war. Suchend blickte sie sich in dem großen Raum um, um ihre Kleidung ausfindig zu machen. Es war nichts davon zu sehen. Stattdessen entdeckte sie auf dem Nachtschränkchen, welches aus massiven Eichenholz bestand und mit rankenartigen Schnitzereien verziert war, einen weißen Zettel. Darauf stand mit blauer Tinte und in feinen kalligraphischen Lettern:
Ich muss etwas erledigen. Komme sobald wie möglich zurück. Bleib, wo du bist.
Die Nachricht war unzweifelhaft von Kaname. Yuki konnte sich nicht vorstellen, wer sonst noch Zutritt zu seinen Räumen hatte. Allerdings konnte sie sich darüber auch nicht sicher sein. Sie vermutete es einfach. Es war keine Schwierigkeit das Bad zu finden. Dort fand sie saubere, weiche Handtücher von weinroter Farbe vor. Jemand hatte sie säuberlich gefaltet auf einer Holzbank, die an der Wand stand, bereit gelegt. Der Spiegel nahm die ganze gegenüberliegende Wand ein und Yuki konnte sich bis zur Hüfte betrachten. Ihr Körper sah unverändert aus, auch wenn sie das Gefühl hatte, sie wäre ein anderer Mensch. Halt, konnte sie sich überhaupt noch als Mensch betrachten?, widersprach plötzlich eine innere Stimme. Nein. Sie hatte die Wahrheit realisiert, wollte sie aber in diesem Moment nicht in Worte fassen. Auch nicht in unausgesprochenen Gedanken. Etliche Sekunden lang starrte Yuki sich im Spiegel an, als sähe sie eine Fremde vor sich. An ihrem Hals entdeckte sie minimale Flecken von schwacher, bläulicher Farbe und ihre rechte Schulter wies kleine Bissspuren auf. Das muss passiert sein, als er mich gebissen hat..., entsann sie sich gedankenverloren und tastete vorsichtig die wunde Stelle ab. Gleichzeitig musste sie aber auch an seine Leidenschaft denken, als er sein Gesicht an ihre Schulter vergraben und sie fest umschlungen hatte. Schließlich gab sie sich einen Ruck, um der Taubheit ihres Körpers ein Ende zu machen, und drehte den vergoldeten Wasserhahn auf. Warmes Wasser floss in das glänzend weiße Waschbecken und Yuki spritzte sich Wasser ins Gesicht. Anschließend ging sie in die Richtung eines mit blassrosa Kirschblumenmuster auf goldenem Untergrund dekorierten, breiten, fünfflügeligen Paravents mit dunklem Holzrahmen. Dahinter vermutete sie eine Badewanne oder eine Möglichkeit zum Duschen. Sie behielt recht. Ab dem Paravent, war der Boden mit hellem Holz anstatt weißen Kachelfließen ausgelegt. Obwohl sie kaum in der Lage war zu denken, staunte sie unwillkürlich über die riesige, quadratische Badewanne, die in den Holzboden eingelassen war. Darin hatten sicherlich fünf Personen Platz! Das saubere, schäumende Wasser hatte eine türkise Farbe und war warm, wie sie beim Eintauchen ihrer zitternden Hand feststellte. Sie machte sich keine weiteren Gedanken darüber, wer sich darum gekümmert haben konnte, und musste sich gleichzeitig selbst über ihren eigenen Egoismus wundern. So ein Desinteresse kenne ich gar nicht an mir...
Über eine kleine, glatt polierte Holztreppe stieg sie in das angenehme Wasser. Mit einem Seufzen tauchte sie unter und ließ das warme Wasser ihren Körper umspülen. Anschließend lehnte sie sich mit dem Rücken an das hölzerne Beckenrand und legte den Kopf genießerisch zurück. Das warme Wasser und der Duft, den es verströmte, hatte eine ungemein beruhigende Wirkung auf sie. War es Moschus oder Rosenöl? Sie schloss die Augen und fühlte, wie sich ihr kalter Körper entspannte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Körpertemperatur kälter als gewohnt war. Aber komischerweise störte es sie nicht einmal...
Die Wärme lullte sie dermaßen ein, dass sie langsam einschlummerte. Abrupt wurde sie aufgeweckt und schreckte hoch, als sie eine zweite Präsenz im Raum spürte. Direkt über gebeugt kniete Kaname.
„Ah!“, entfuhr es Yuki und sich wich heftig vor ihm zurück. Dabei spritze das Wasser auf und übergoss sich über seine Brust.
„Onii-sama! Was-was...?“, stammelte sie und starrte ihn entgeistert an.
„Deine Wunde ist bereits verheilt.“, stellte er mit einem Lächeln fest.
Das veranlasste Yuki dazu ihre Schulter zu betasten. Das ist unmöglich!, schoss es ihr daraufhin durch den Kopf. Wie kann das sein? Eben waren die Bissspuren doch noch da!
„Es wird für dich zur Normalität, dass dein Körper schnell heilt.“, erklärte er ihr unaufgefordert.
„Wie fühlst du dich?“
„Gu-gut.“ Sie tauchte bis zum Kinn unter die Wasseroberfläche und hoffte, dass das Wasser die Sicht auf ihren nackten Körper verhinderte. Daraufhin flackerten seine Augen.
„Es gibt keinen Grund dich vor mir zu verstecken, mein Schatz. Jetzt nicht mehr.“
Sie hatte das Gefühl, dass hinter seinen einfachen Worten mehr steckte, als nur zärtlicher Spott, den sein Tonfall ausdrückte. War es eine Warnung oder vielmehr Drohung? Beruhigen taten seine Worte sie jedenfalls keineswegs. Außerdem wäre mir lieber, er würde aufhören, mich so zu nennen..., dachte sie bei sich. Es klingt für mich so seltsam... unglaublich.
„Ich bin wirklich froh, dass du dich so schnell von der Wandlung erholt hast. Gewöhnlich dauert es viel länger für jemand Neugeborenen seine Kräfte zu erlangen, aber da du schon von Geburt an reines Blut in dir fließen hast, bis du stärker als ein normaler Vampir. Sogar stärker als die begabten.“, fuhr er mit einem warmen Ausdruck in den Augen fort. Sie zuckte merklich zusammen, als er das Wort aussprach, welches sie krampfhaft vermieden hatte auch nur daran zu denken. Sie wich seinem Blick aus und verschränkte die Arme eng vor der Brust, während sie unauffällig einen weiteren Schritt zurück trat. Weit entfernt von der anderen Seite der Wanne war sie nicht mehr. Seine Augen wurde schmal und an seinem Hals schwoll eine Ader an, das konnte sie mit ihrem neuen verstärkten Sehsinn erkennen.
Er ist böse!, dachte sie entsetzt und stockte. Was habe ich getan?
Etwas in seinen Augen glomm auf und verursachte ihr ein ungutes Gefühl. Sein Blick wurde regelrecht durchdringend und Yuki hatte das Bedürfnis die Flucht zu ergreifen. Diesen wechselhaften Kaname zu sehen verunsicherte sie zutiefst, noch schlimmer – er machte ihr Angst. Das Gefühl der Geborgenheit, welches sie in seinen Armen in der vergangenen Nacht empfunden hatte, verblasste unwillkürlich und zurück blieb nichts als eine Nerven zerreissende Anspannung. Sie wartete mit angehaltenem Atem, was er als nächstes sagen oder tun würde.
„Stört es dich, wenn ich zu dir ins Wasser steige? Mich verlangt es auch nach einem Bad, weißt du.“
Entsetzen lähmte sie und verhinderte, dass sie antworten konnte. Seine Stimme klang alles andere als unschuldig und sie glaubte nicht, dass er ihr wirklich eine Wahl ließ. Mit jeder weiteren Sekunde fühlte sie sich ihm mehr und mehr hilflos ausgeliefert. Gemächlich knöpfte er jetzt sein feuchtes, schwarzes Hemd auf und schälte es sich von den Schultern, während er sie dabei nicht aus den Augen ließ. Wäre die Situation nicht so unberechenbar gewesen, hätte sie seinen Anblick sicherlich genossen.
Wie weiß seine Haut ist!, bemerkte sie am Rande.
Es war geradezu anzüglich und auf beschämende Weise intim so wie er sie ansah und ihr Gesicht studierte. Sie sah zu Seite und versuchte sich auf einen anderen Punkt zu konzentrieren, doch sie spürte seinen Blick. Er verzog seine Lippen zu einem überlegenem Lächeln. Mochte sie ruhig die Schamhafte spielen, wenn ihr danach war. Es gab für sie sowieso keine Möglichkeit ihm zu entkommen.
Yuki wusste einfach nicht, warum seine Gegenwart ihr unangenehm war. Jetzt wo sie einen klaren Kopf hatte, war sie sich des unguten Gefühls deutlich bewusst, die sie empfand. Mit einem leisen Plätschern begleitet glitt er in das Wasser und hatte die Distanz in weniger als einer Sekunde zwischen ihnen überwunden.
Mein Gott, wie schnell er ist!, fuhr es ihr durch den Kopf.
Die Wasseroberfläche wurde von seichten Wellen überzogen und Yuki stieß den Atem aus. In dem stillen Raum konnte sie es deutlich hören und vor Scham wurden ihre Wangen heiß.
„Warum bist du verlegen?“, fragte er sie und ging in die Knie, um auf ihrer Augenhöhe zu sein. „Gefällt dir nicht, was du siehst?“
Sie vermied es krampfhaft ihm in die Augen zu sehen, traute sich aber auch nicht ihm wieder offensichtlich auszuweichen. Er spielte mit ihr, dass war ihr bewusst. Was wollte er bloß?
„Ich-ich...“ Sie musste hart schlucken, weil ihre Stimme sie anscheinend in Stich lassen wollte. „Natürlich, Kaname-sama.“
„Warum so förmlich?“ Jetzt klang er eindeutig verstimmt. Jetzt reicht es mir langsam mit der falschen Schamhaftigkeit..., setzte er in Gedanken hinzu. Dafür ist es nun wirklich zu spät, nachdem ich dich bereits besessen habe. Er widerstand dem Drang sie grob zu packen und ihm einfach gefügig zu machen. So viel durfte er ihr noch nicht von seinem wahren Wesen offenbaren. Yuki hatte wahrscheinlich noch die Vorstellung von dem gutmütigen Kaname-Senpai im Kopf. Endlich wagte sie es ihm in die Augen zu blicken und zeigte ihm ein verzweifeltes Gesicht, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Besser gesagt, sagen durfte. Es war ein furchtbares Gefühl von Schwäche. Dieser Ausdruck regte Kaname auf eine seltsame Art an und er gab sich keine Mühe, seine Gefühle zu verbergen. Er genoss es einfach auf perfide Art, wenn sein Gegenüber vor ihm zitterte. Es bestätigte ihm in seinem Machtbewusstsein. Und jetzt, da er Shizukas Herz verzehrt und ihr Blut getrunken hatte, war er überzeugt davon, jedem anderem Vampir überlegen zu sein.
„Yuki“ Ehe sie ausweichen konnte, hatten seine starken Arme sie bereits umschlungen und eng an sich gezogen. Er nahm ihre Hände, führte die Linke zu seiner Brust und die andere zu seiner Wange. „Dieser Körper hat dich gestern Nacht umfangen.“ Er hauchte einen Kuss auf ihre Fingerspitzen und nahm sie in den Mund. Sie musste die Zähne aufeinander pressen, um nicht vor Schreck auf zu schreien. Das rief ein flüchtiges Lächeln bei ihm hervor. Wieder machte sich ein Fluchtinstinkt in ihr bemerkbar. Ich kann nichts dagegen tun!, dachte sie mit bebenden Lippen. Jede Faser meines Körper schreit danach vor ihm zu flüchten. Er ist mir nicht geheuer!
Als nächstes küsste er ihre Handfläche, dann leckte er über ihren Knöchel. Yuki starrte ihn nur mit geweiteten Augen an. Als er ihre andere Hand an seinem stählernem Körper nach unten führen wollte, riss sie sich mit einem schrillen „Nein!“ von ihm los. Das geht zu weit!, dachte sie panisch. Seine Augen blitzten sie an, ließen ein Rot darin aufglimmen.
„Yuki, was ist los?“, fragte er lauernd und jegliche Zärtlichkeit war aus seinem Gesicht gewischt. Er hatte keine Lust mehr Gutmütigkeit vor zu gaukeln.
„Bitte nicht...“, brachte sie stockend hervor, weil sie wusste, dass sie nicht mit einem einfachen Schweigen antworten konnte.
„Warum nicht?“, bohrte er nach und sie spürte, wie eine Wut in ihm aufkam. Seine Aura begann ihr Angst einzujagen. Es gefiel ihm, ihre flehende Stimme zu hören. Es gefiel ihm viel zu gut, als dass er die beruhigen wollte.
„Das-das ist nicht richtig.“ Sie war inzwischen soweit zurück gewichen, dass sie mit dem Rücken zum Beckenrand stand. „Du bist mein Bruder!“
Ich habe es gesagt!, rief sie gedanklich panisch aus. Wenn sie noch einmal an die Geschehnisse der vergangenen Nacht dachte, zog sich ihr Magen zusammen und Übelkeit stieg in ihr auf. Sie hatte mit ihrem eigenen Bruder geschlafen. Es war ein Verbrechen. Und es war nicht nur einmal gewesen. Sie begann sich vor sich selbst zu ekeln. Vor dem was sie geworden war und es war seine Schuld!
Sekundenlang starrte er sie nur ausdruckslos an, dann stand er plötzlich vor ihr. Ganz nah, seine Arme schlossen sie rechts und links ein, verhinderten jeglichen Fluchtversuch. Sie keuchte erschrocken auf, versuchte ihre Angst zu kontrollieren.
„Na und?“, hauchte er ihr nur Zentimeter entfernt ins Gesicht und sah sie mit einem mal grausam an. Dann küsste er sie hart, hielt ihre Arme fest, die sich gegen ihn stemmen wollten. Sie glaubte fast, dass er ihre Handgelenke zerquetschen würde, so fest packte er zu. Seine Zunge drang in ihren Mund ein und selbst ein Kopfschütteln richtete nichts aus. Schließlich biss sie zu und er ließ von ihr ab. Blut zeigte sich an seiner Unterlippe und er wischte es beiläufig ab. Sein Gesicht hatte nichts von dem überlegenem Ausdruck verloren. Er genoss den Kampf offensichtlich.
„Was ist das Problem?“, fragte er in einem geduldigen Ton, als spräche er mit einem Kleinkind.„Wir sind Geschwister, aber ich begehre dich.“ Wieder drängte er sich näher an sie.
„Das ist unmoralisch!“, entfuhr es ihr, während sie gegen seinen starken Griff ankämpfte. Er ist so stark... ich habe Angst! „So was machen Menschen nicht!“
„Wir sind keine Menschen. Und wir haben keine Moral“, versetzte er nüchtern und durchbohrte sie mit einem kalten Blick. Er hätte beinahe über ihre lächerlichen Worte aufgelacht. War sie wirklich so durcheinander? Beinahe war er enttäuscht von ihrer Naivität. Mühelos hielt er ihre dünnen Arme mit einer Hand fest, während er mit der anderen jetzt ihr Kinn ergriff. „Wir sind Monster, mein Schatz, hast du es noch nicht begriffen? Wir tun nur das, was uns gefällt.“ Er verhöhnte sie mit einem trockenem Lachen. Dann zwang er ihr wieder einen groben Kuss auf. Sie konnte es nicht mehre länger ertragen, stieß ihn heftig zurück und wollte ihn mit aller Kraft ohrfeigen. Dennoch hatte sie schon wieder seine Schnelligkeit unterschätzt. Er fing ihre Hand auf, ehe sie ihn treffen konnte und verdrehte ihr den Arm.
„Warum bist du heute so widerspenstig?“ Wie eine Puppe wirbelte er sie herum, sodass sie mit dem Rücken zu ihm gewandt da stand und ihre Körper sich parallel berührten. Sie rang nach Atem vor Anstrengung gegen seinen Griff, der einem Schraubstock glich.
Keine Chance...! Ich habe keine Chance!, dachte sie den Tränen nahe und konnte ein schmerzliches Wimmern nicht unterdrücken. Zero! Hilf mir! Hilf mir jemand! Obwohl sie täglich Selbstverteidigung trainiert hatte, konnte sie ihm nichts entgegen setzen. Die Hilflosigkeit brachte sie beinahe um den Verstand. Mehr noch, brachte sie dazu sich selbst zu verabscheuen für ihre Schwäche.
„Es stört mich aber ehrlich gesagt nicht, mein Schatz. So wird unsere Beziehung aufregender, als ich erwartet habe. Ich hatte gehofft, dass deine widerspenstige Natur mit deinem Erwachen wieder zu Tage tritt.“ Während er sprach, leckte er an einer empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr und lies seine Hände über ihren feuchten Körper wandern. Heiße Scham überkam sie, als sie gegen ihren Willen erschauerte.
„Bitte hör auf!“, flehte sie schließlich.
„Warum sollte ich?“, entgegnete er provozierend. „Weißt du wie lange zehn Jahre werden können, wenn man wartet?“
„Warum hast du es dann nicht einfach gelassen?“, stieß sie in einem Anflug von Sarkasmus aus, während seine Hände sie auf beschämende Weise weiterhin berührten. „Warum ich?“
„Weil du für mich bestimmt bist. Unsere Eltern waren auch Geschwister, kannst du dich daran erinnern?“ Er verteilte gemächlich Küsse auf ihren Nacken und sie konnte nicht ausweichen. Es war in keiner Weise für sie erregend, dazu war die Furcht vor ihm viel zu übermächtig und sein Vorgehen nahezu sadistisch. Das war nicht der Kaname, den sie bisher gekannt hatte. Als sein Finger in sie eindrang, rief sie flehend aus:
„Onii-sama! Bitte nicht...!“
Er hielt einen Moment inne, dann knurrte er verärgert:
„Ich bin dein Bruder, aber auch dein für dich bestimmter Mann. Erwarte nicht, dass ich mich dir gegenüber zurückhalte. Ich mag es nicht, wenn man sich mir widersetzt, Yuki.“
Daraufhin schluchzte sie weinend auf und begann am ganzen Körper zu zittern.
„Warum... bist du so? Du machst mir Angst...“
Sein Griff wurde lockerer und er seufzte auf. Ihr Gebaren ging ihm zunehmend auf die Nerven.
„Wie hast du denn gedacht, wie ich bin, mein Schatz? Ich bin, was ich bin. Und da du meine Frau bist, sehe ich keinen Grund mich vor dir zu verstellen. Es liegt in meiner Natur anderen Angst einzujagen, ansonsten würden sie mir nicht folgen. Es ist alles eine Frage der Macht, Yuki.“
„Und weil du Macht hast, glaubt du, mich demütigen zu können?“, entgegnete sie und verhaltener Zorn machte sich in ihr bemerkbar. Dieser gab ihr ein Stück ihres Selbstbewusstseins wieder, drängte die Furcht zurück.
„Ich kann es nicht nur, sondern ich tue es auch.“, versetzte er schlicht. „Wenn du dich nicht meinem Willen fügst.“
„Wir sind noch lange nicht verheiratet!“, hielt sie dagegen.
„Hahahaha...“ Jetzt konnte er ein Lachen doch nicht mehr unterdrücken. Sie war einfach zu putzig. „Denkst du wir müssen uns in der Kirche vor den Altar stellen, damit unsere Ehe rechtsgültig wird? Ich bitte dich, wo bleibt dein Scharfsinn?“ Jetzt wischte er sich tatsächliche in paar Lachtränen aus dem Augenwinkeln und rief den Drang in ihr hervor nach ihm zu schlagen.
„Erstens kämen wir gar nicht in die Kirche hinein, weil dieser Ort uns auf natürliche Weise abstößt. Zweitens brauche ich es nur vor unseren anderen Artgenossen verkünden und damit wäre unsere Verbindung besiegelt. Drittens, du solltest dir ab jetzt gut merken, dass in unserer Welt ein anderes Recht herrscht. Das Recht des Stärkeren.“
Die Art, wie er von den anderen sprach erinnerte sie an ein Rudel Wölfe. Artgenossen... es klang so unmenschlich. Das traf auch den Nagel auf dem Kopf. Sie musste sich nur noch öfters einreden, ehe sie es endlich glaubte. Amüsiert fuhr er fort:
„Aber wenn du es wünschst, dann können wir ein rauschendes Hochzeitsfest feiern. Frauen haben ja solche derartigen blumigen Vorstellungen von ihre Hochzeit. Wenn es dich glücklich macht, dann lasse ich alles nach deinem Willen arrangieren.“ Obwohl seine Worte vor Sarkasmus nur so trieften, wandelte sich sein spöttischer Blick zu einem sanfteren und sie glaubte einen ihr bekannten Kaname wieder zu erkennen. Darauf fiel ihr keine richtige Entgegnung ein. Es klang selbst für sie einleuchtend. Also begnügte sie sich damit ihn mit brennenden Augen anzusehen.
„Was willst du von mir?“, verlangte sie schließlich wütend zu wissen.
„Nur, dass du bei mir bleibst und tust, was ich dir sage.“
„Niemals.“, entfuhr es ihr impulsiv. Sie konnte sich ihre plötzliche Entschlossenheit nicht erklären, hatte aber das Gefühl langsam wieder zu sich selbst zu finden.
„Und vor allem, dass du an niemand anderen außer mich denkst.“, fuhr Kaname fort, als hätte er sie gar nicht gehört. Seine Rechte nahm eine Hand voll Strähnen ihrer langen Haare und zog sie ein wenig zu sich. „Ich bin ziemlich eifersüchtig, mein Schatz. Mörderisch eifersüchtig um genau zu sein. Dann weiß ich manchmal nicht, wa sich tue und es könnte jemand dabei sein Leben verlieren.“ Er klang fast entschuldigend. Wie ein Kind, dass zuerst aus Wut sein Spielzeug durch die Gegend wirft und dem es nachher leid tut, dass alles zerstört ist. Er musste seinen Namen nicht aussprechen, damit sie verstand, dass er auf Zero ansprach. Niemals!, wiederholte sie in Gedanken, drehte sich zu ihm herum und stieß ihn heftig von sich. Ihre Fingernägel hatten sich dabei zu Krallen verformt und bohren sich in seine edelweiße Haut. Seitlich explodierte die Wand und kleine Brocken lösten sich aus dem Stein. Kanames Kopf zuckte plötzlich zurück, als packe ihn etwas an der Kehle und drücke ihm die Luft ab. Er fing sich aber rasch wieder und gleich darauf fühlte sich Yuki von einer unsichtbaren Kraft zurückgeworfen und gelähmt. Sie konnte sich nicht mehr rühren, stand wie eine Salzsäule erstarrt da.
„Du musst lernen deine Kraft zu kontrollieren, Yuki, sonst machst du noch alles kaputt.“ Jetzt sprach er wieder zu ihr, wie zu einem Kind. Dennoch war er leicht außer Atem und sah an sich herunter, wo aus den Wunden Blut herauslief. Er würde es sich niemals anmerken lassen, aber damit hatte sie ihn überrascht und es tat ziemlich weh. Ein Glück würde es schnell verheilen.
„So, genug gespielt.“ Yuki wurde losgelassen und fiel keuchend zurück, während er sich mit gespielter Ungerührtheit abwandte. „Du hast noch lange keine Chance gegen mich, Yuki. Versuch das nicht noch einmal, sonst könnte ich dir versehentlich weh tun.“ Mit diesen Worten stieg er mit einem plätscherndem Geräusch aus dem Wasser.
„Was meinst du?“, fragte sie und vertand kein Wort. Er sah nur spöttisch auf sie herab und ging nicht darauf ein.
„Auf dem Bett liegen Sachen für dich. Zieh das an. Wir gehen auf ein Bankett.“
* * *
„Warum muss ich anziehen, was du für mich aussuchst?“, forderte Yuki zu wissen und starrte entgeistert auf die Garderobe, die auf dem breiten Bett ausgelegt war. Jemand hatte in der Zwischenzeit, wo sie sich im Bad befunden hatten, die Laken ausgewechselt und die Decken und Kissen geordnet. Langsam wurde Yuki dieses unsichtbare Zimmermädchen unheimlich. Falls es überhaupt ein menschliches Wesen war, was es vollbracht hatte.
„Wieso? Gefällt es dir nicht?“, entgegnete Kaname anstatt einer Antwort. Sie hatte auch nicht wirklich eine erwartet. Sie stellte sich darauf ein, dass er von jetzt an sicherlich ihre Meinung ignorieren würde und einfach tat, was und wie es ihm beliebte. Langsam begann sie ihn dafür zu hassen. Doch seine vorigen Worte hatten sie auf einen Gedanken gebracht. Sie musste Geduld haben, bis sie ihre eigene Kraft kontrollieren lernte, dann konnte sie sich mit ihm messen. Er hatte versucht es zu verbergen, doch ihr war nicht entgangen, dass sie ihn mit ihrem magischen Angriff überrumpelt hatte. Das Recht des Stärkeren gilt., wiederholte sie seine Worte in Gedanken. Danke für den Rat, mein Lieber. Wir werden sehen, wer von uns der Stärkere ist. Sie bildete sich natürlich nicht ein, ihm sofort ebenbürtig zu sein, aber es gab sicher Mittel und Wege ihm zu trotzen. Vorerst blieb ihr aber nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, was er ihr zumutete.
„Nein. Nachtblau ist eine kalte Farbe.“, sagte sie schließlich und sah unwillig auf das Kleid herab.
„Ich mag es. Es ist die Farbe einer Königin. Und passt sicherlich herrlich zu deiner weißen Haut.“ Er lächelte über ihren Unmut und fuhr in bester Laune fort:
„Ruka wird in wenigen Minuten hier sein und dir beim Ankleiden helfen. Ich gehe dabei im Nebenzimmer.“
„Ich will es nicht tragen. Es schaut unbequem aus.“ Ihre Worte veranlassten ihn dazu sich umzudrehen und drohten seine Stimmung zunichte zu machen.
„Ich habe es persönlich für dich ausgesucht, also seine in braves Mädchen und zieh es an.“ Sie hörte die Drohung in seinem Tonfall, noch ehe er sie aussprach:
„Oder ich werde dir mit Vergnügen dabei behilflich sein.“
Automatisch verkrampften sich ihre Hände um den Ausschnitt ihres Yutaka, den sie nach dem Bad angezogen hatte. Sie sah keine Chance auf einen Sieg der Auseinandersetzung. Er würde sie mit Leichtigkeit nieder ringen, also nickte sie nur widerwillig.
„Ich liebe es, wenn du einsichtig bist.“, bemerkte er daraufhin und zeigte wieder ein unschuldiges Lächeln. Anschließend ging er ins Nebenzimmer, wo Kain bereits auf ihn wartete, um ihm beim Ankleiden zu helfen.
Ich vermisse meine Schuluniform..., dachte Yuki bei sich und sah unglücklich auf das nachtblaue, seidig glänzende Kleid herab. Es verging keine lange Zeit, als es an der Tür klopfte und Ruka um Einlass bat. Sie begrüßte Yuki förmlich mit einer eleganten Verbeugung, zeigte aber ansonsten keinerlei Regung. Einzig ihre Zuneigung zu Kaname ließ sie Yukis Gegenwart ertragen, zumal er sie persönlich darum gebeten hatte, seiner Fiancée behilflich zu sein. Yuki selbst war auch nicht nach reden, also quittierte sie Rukas Kaltfront nur mit einem Nicken. Dabei spürte sie ihre eigene Arroganz, war aber schon lange dazu entschlossen, diese einfach sein zu lassen.
Das Kleid sah nicht nur so unbequem aus, es war es. Die enge Korsage als Oberteil schnürte ihr regelrecht die Luft ab und ihre Brüste wurden auf lächerliche Weise nach oben gehoben. Die Korsageränder waren mit schwarzer Spitze dekoriert. Es reizte geradezu jeden Betrachter auf ihr Dekolté zu starren. Schrecklich!, dachte sie und hatte Mühe zu atmen. Was hat er sich nur dabei gedacht?
„Ruka-san, schnüre es bitte nicht so eng.“, bat sie und räkelte sich unwohl.
„Das gehört sich aber so.“, kam es mit ausdrucksloser Stimme zurück und Yuki zog scharf die Luft ein, als Ruka die Schnüre noch fester zusammen zog. Macht die das mit Absicht?, dachte Yuki zähneknirschend. In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Sie zweifelte arg an Kanames Geschmack. An ihrer Hüfte raffte sich der Stoff und gab ihr mehr Kurven, als sie eigentlich besaß. Dann fiel der seidige Stoff wallend herab und umhüllte ihre Beine. Darunter befanden sich aber mindestens noch drei Schichten Unterröcke aus schwarzem Stoff und Spitze. Wenigsten fühlte dieser sich gut auf der Haut an. Wenn nur nicht diese unbequemen hochhackigen Schuhe wären! So ganz unglücklich war sie doch nicht mit Rukas Hilfe, nachdem sie bemerkt hatte, was für Accessoires dem Kleid bei lagen, wo sie nicht den blassesten Schimmer hatte, wo was hin gehörte. Ihre Haare wurden zusammengerafft und mit Haarnadeln nach hinten gesteckt. Anschließend wurde eine weiße frische Lilie in die Haare seitlich eingebettet und um diese herum einige glänzende Haarnadeln mit verzierten Köpfen platziert. Um ihren Hals musste sie ein silbernes Colier in Form einer Lilienranke mit funkelnden Steinen tragen. Das Ding war endlos schwer. Ob es echte Diamanten waren, wagte sie sich gar nicht zu fragen. Dazu gab es noch einen vom Design her passenden Silberring, Armkettchen und Ohrringe, deren Gewichte aber glücklicherweise geringer wäre. Der Schmuck hob sich von dem nachtblauen Kleid ab wie funkelnde Sterne am dunklen Firmanent. Was soll ich sein? Die Königin der Nacht?, fragte sich Yuki ironisch, als sie sich im Spiegel betrachtete, während Ruka sie schminkte. Es steht mir nicht im Mindesten., befand sie.
Es steht ihr verdammt noch mal so gut!, dachte Ruka hingegen und versuchte sich ihre Eifersucht nicht anmerken zu lassen. Ich hätte mich doch keine Mühe gegen sollen. Warum bin ich so nett? Die Antwort wusste sie selbst. Es war alles nur für Kaname. Nachdem er ihr unfairerweise gesagt hatte, dass er ihr vertraute, konnte sie einfach nicht mutwillig gegen seine Bitte handeln. Es war so unfair! Am liebsten hätte sie Yukis unschuldiges Gesicht mit dem Kajalstift verschmiert. Stattdessen riss sie sich mit höchster Kraftanstrengung zusammen und ging vorsichtig an die Arbeit. Sie tuschte Yukis Wimpern stark, umrahmte sie mit braunem Kajal und verwischte die Übergänge sanft, damit ein mystischer Effekt eintrat. Anschließend kam noch Lidschatten, einmal ein helles und ein dunkles Blau passend zur Farbe des Kleides hinzu. Alles, was zur Vollendung von Rukas Kunstwerkes übrig blieb, war nur noch Yukis Lippen mit einem glänzendem Rosé zu färben und sie mit ein paar Spritzern Parfum zu versehen.
„Fertig.“, murmelte Ruka schließlich und konnte es nicht abwarten wieder gehen zu können.
„Du siehst hinreißend aus.“ Kanames zufriedene Stimme schreckte die beiden Mädchen auf und sie fuhren erschrocken herum. „Betörend schön. Unwiderstehlich.“ Am liebsten hätte Yuki irgendetwas nach ihm geworfen, kam aber nicht umhin festzustellen, dass er in seinem schwarzem Frack mit der tailliertem Jacke, gestärktem weißem Hand und der Fliege ebenso fantastisch aussah. Seine Haare waren ausnahmsweise gekämmt und fielen ihm seidig über die Schulter.
„Kaname-sama.“, begrüßte Ruka ihn mit ihrem schönstem Lächeln und verneigte sich tief.
Was für eine Schauspielerin., dachte Yuki bei sich Nase rümpfend. Dabei war ihr Gesicht die ganze Zeit zu Stein erstarrt!
„Ich danke dir, Ruka.“ Er gewährte ihr sein gewöhnliches engelhaftes Lächeln, welches sie dahin schmelzen ließ und sie so an ihm liebte.
Aber er spielt noch besser., dachte Yuki wiederum und versuchte ohne das Gleichgewicht zu verlieren sich von dem Stuhl zu erheben. Kaname bot ihr in ganz erhabener Manier seinen Arm an. Sie sah keinen vorteilbringenden Erfolg darin, sich zu wehren, also hakte sie sich bei ihm ein.
„Wir sind ein wenig zu spät, aber das macht nichts.“, teilte er ihr mit und sah sie mit leuchtenden Augen an. Ihm gefiel ungemein, was er sah, auch wenn Yukis kühler Gesichtsaudruck ihm nicht passte. Sollte sie schmollen, heute war ein lang ersehnter Tag für ihn. Er würde endlich seine Verlobte der Vampirgesellschaft vorstellen.