(Anmerkung: Agonie bedeutet „Todeskampf, innerer Kampf“)
„Geliebte Schwester... weine nicht. Es gibt keinen Gott für uns. Er hat uns nicht erschaffen. Er wollte uns nicht. Ich weiß auf deine Frage keine Antwort.
Gott schickte seine Menschen aus, um uns zu jagen, weil wir nicht hierher gehören. Aber warum sind wir dann überhaupt auf dieser Welt?“
„Er glüht vor Fieber!“, sagte Kain sorgenvoll verzogenen Augenbrauen und befühlte vorsichtig Kanames weiße Stirn, die mit Schweißperlen bedeckt war. Er hatte das Hemd ihres Oberhauptes geöffnet, um ihm Luft zu verschaffen, obwohl er kaum auf Sauerstoff angewiesen war.
„Unmöglich! Vampire haben keine Temperatur!“, wiedersprach Aido heftig und kniete sich neben Kain.
„Das muss an dieser Hunterwaffe liegen.“, vermutete Kain. „So eine Schusswirkung habe ich noch nie gesehen – und ich bin bei deren neuesten Entwicklungen wirklich immer auf dem neuesten Stand. Muss ihre Geheimwaffe sein, die sie in ihrem Hauptquartier unter strengstem Verschluss geschmied-“
„Was sollen wir tun?“, unterbrach ihn Aido grob und sah seinen Cousin ungeduldig und verärgert über dessen Abschweifen an. Dennoch bargen seine gelbgoldenen Augen einen leichten Hoffnungsschimmer darüber, dass Kain einen rettenden Einfall wusste.
Seiren, die ihren Master unter Beobachtung der anderen sah, hatte inzwischen Shiki und Rima nebeneinander auf einen Haufen feuchtes Laub gebettet, ihre Köpfe ein wenig an den rauen Stamm einer dicken, scheinbar uralten Eiche gelehnt, deren massive Wurzeln eine Art Kranz um sie bildeten.
Shiki röchelte ein wenig, während Rima sich überhaupt nicht rührte. Seiren hatte eine Bahn chinesischen Seidenstoff von ihrer eigenen Kleidung herausgeschnitten, und Rimas Wunden notdürftig verbunden. Ridos Klauen hatten zwei unmenschliche, handbreite Löcher in ihrem zarten Rücken hinterlassen, die einfach nicht verheilen wollten. Der Körper des Vampirmädchens war von der schmalen Hüfte an bis zu den schlanken Beinen in Blut getränkt, als hätte sie regelrecht darin gebadet. Es schien, als trüge sie über ihrer schneeweißen Haut einen hauchdünnen, rotleuchtenden Film. In diesem Moment war Seiren froh, dass Vampirblut keine Raubtiere wie Wölfe anlockte, denn es stieß auf natürliche Weise lebende Geschöpfe ab. Diese Wirkung galt aber nicht für die geisterhaften Pferde, die nicht aufhörten zu schnauben und mit den eisenbeschlagenen Hufen auf dem Waldboden zu scharren. Ihre geblähten Nüstern rochen das verlockende Blut und alle vier Rappen reckten gierig die Köpfe nach den Verletzten, ihre schäumenden Münder auf dem metallenen Zaumzeug kauend, als labten sie sich bereits an ihnen. Für sie machte es keinen Unterschied, ob untot oder lebendig, Fleisch war gleich Fleisch. Seiren hatte die Zügel fest um einen Baum geschlungen, aber sie zweifelte, dass die dünnen Lederbänder die Tiere abhalten konnten, wenn sie sich entschlossen anzugreifen. Einzig die Erschöpfung von dem scharfen Galopp ihrer Flucht hielt die Rösser zurück. Aber umso wahrscheinlicher war es, dass es sie nach Nahrung gelüstete...
Rima war als einzige aus der Gruppe in der Lage, die Tiere mit Flammen zu bändigen, denn sie scheuten das magische Feuer. Aber da sie nicht bei Bewusstsein war, mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen.
„Rima!“ Mit diesem Aufschrei schlug Shiki plötzlich die Augen auf und richtete seinen blutbesudelten Oberkörper ruckartig auf. Sofort wurde er von einer heftigen Welle aus unsagbaren Schmerzen bestraft. Sein Körper fühlte sich an, als werde er auseinandergerissen. „Argh!“
„Sie ist hier.“, sagte Seiren knapp, kein Wort über seine Pein verlierend. Mitleid war ihr unbekannt. Für sie war Schmerz die natürliche Folge eines Kampfes. Er war das Zeichen, dass man noch lebte. Obwohl für einen Vampir die Wortwahl existieren treffender war. Die schönen Untoten waren der völligen Auslöschung noch einen Schritt näher als andere Lebewesen. Wenn sie starben, dann zerfielen sie einfach zu Staub, ohne einen Beweis ihrer Existenz zurückzulassen, mit Ausnahme ihrer Opfer.
„Dieses gottverdammte Monster...“, knurrte Shiki und seine Stimme klang in den feinfühligen Ohren seiner Freunde fremd. Er sah an sich herunter und stöhnte über die tiefe dreispurige Wunde, die von seiner linken Hüfte bis hoch zum Hals verlief. Es hätte nicht viel gefehlt und sein größenwahnsinniger Vater hätte ihm die Kehle aufgerissen. Das hätte den Heilungsprozess um einiges verlangsamt. Ridos Krallen waren durch Shikis Haut gedrungen wie ein frisch geschliffenes Schwert durch einen grünen Grashalm. Der Schmerz war unbeschreibbar, unerträglich als fräße sich etwas von innen heraus durch seine Organe und gleichzeitig versenge ihm glühende Kohlen langsam und genussvoll die Oberfläche. Der Rothaarige biss sich die Lippe blutig, bei dem mühsamen Versuch seine Empfindungen nicht haltlos und besiegt herauszuschreien.
„Warum zum Teufel... spüren wir... überhaupt Schmerz?“, versuchte er keuchend scherzenhaft zu klingen, aber sein Lächeln war so gequält, dass es nur eine Grimasse wurde. „Sind wir nicht allmächtig?“
„Daran glaubst du noch?“, kam Ichijous Stimme von oben. Sein normalerweise engelblondes, seidiges Haar hing ihm in nassen Strähnen herunter und ein verlorener Ausdruck war in seinen eisblauen Augen. Das Mondlicht ließ seine Gesichtszüge hart und zerschlagen hervortreten und die Bleichheit seiner Haut unmenschlicher denn je erscheinen. Er ließ sich geräuschlos neben Shiki auf den belaubten Boden nieder und betrachtete dessen Wunde.
„Es heilt.“, bemerkte er schließlich zu ihm.
„Davon merke ich nichts.“, brummte dieser und versuchte keine Bewegung zu machen.
„Sorry, dass wir nichts machen können außer abwarten.“, sagte Ichijou daraufhin entschuldigend.
„Wieso hat der Rat kein Krankenhaus für Vampire eröffnet?“, fragte Shiki, während er die regungslose Rima nicht aus dem Augen ließ. Er musste sich unterhalten und wenn es noch so blödsinnig war, was er sprach. Auf diese Weise gelang es ihm die Angst um seine Gefährtin, die ihn zu überwältigen drohte, zurückzuhalten.
„Sehen wir so aus, als würden uns solche weißen Patientenkittel stehen? Ich bitte dich, für unsere Schönheit müssen sie schon bessere Kleidung bereitstellen. Etwas anderes als Seide trage ich nicht.“, entgegnete Ichijou in einem plötzlichen Anfall von Humor und hatte den absurden Drang zu lachen. Sein Kopf weigerte sich zu denken, er wollte nichts fühlen, nicht fragen. Was war mit Ruka geschehen? Was passierte gerade mit Kaname? War die Apokalypse ausgebrochen?
Seiren hatte sich ohne ein weiteres Wort von den beiden entfernt. Mit wenigen Sprüngen hatte sie die breiten, knorrigen Äste der Eiche erklommen und dort oben Stellung als Wache bezogen, wo sie die unmittelbare Umgebung im Blickfeld hatte. Noch war alles ruhig. Die schwarze eisige Nacht wurde nur durch das Schnauben der Pferde und entfernte tierische Laute wie das Zirpen von Insekten, dem Flattern von häutigen Fledermausschwingen oder gefiederten Flügeln unterbrochen. Die hohen kahlen Baumkronen wiegten sich ächzend in dem kalten Wind. Die Gruppe befand sich in einer Talsenke tief im unbekannten Wald. Bis zur nächsten Stadt waren es noch Meilen entfernt.
Niemand fragte nach Yuki oder schien sich um ihr Befinden zu interessieren. Für Kanames Vampire war sie immernoch ein unerwartetes Geschöpf, was aus dem Nichts in ihre Gesellschaft geplatzt war. Jetzt, da sie im Moment nicht mehr Kanames unbarmherzigen Augen ausgesetzt waren, gab sich keiner der anderen die Mühe eine Fassade des Respekts, ja mehr noch, Verehrung zur Schau zu tragen. Keinem von ihnen gelang es den bösartigen Gedanken zu verdrängen, dass Yuki der Grund für den derzeitigen anarchistischen Zustand war. Einzig Kain, verdrängte seine vorwurfsvollen Gedanken und sah sich von Verantwortung getrieben nach der Vampirprinzessin um. Seine Loyalität zu Kaname galt auch für dessen Familie. Kains Vater war ein überzeugter Anhänger der Monarchie und hatte frühzeitig seinem Sohn die ungebrochene Treue zum herrschenden Kuran-Clan eingebläut. Aus diesem Grunde war Lord Akatsuki auch Ichijous ambitionierten und ehrgeizigen Großvater, der seine eigenen Pläne verfolgte und nach Macht gierte, feindlich gesinnt.
Yuki fühlte sich taub, mehr noch leblos. Im Grunde genommen, war sie das auch. Ihr langes, kastanienbraunrotes Haar fiel ihr wie ein Vorhang über die Schulter und schmiegte sich so eng wie ein Mantel an ihre Gestalt. Ihr seidiger schwarzer Unterrock bestand mittlerweile nur noch aus Fetzen und bedeckte kaum ihren intimen Unterleib. Es war ihr gleich. Schamgefühl schien es plötzlich nicht mehr für sie zugeben.
Wie sie so regungslos dastand, die Arme seitlich an ihren Körper gelegt, das Haupt stolz erhoben, ihr spitzes Kinn aristokratisch gereckt, erschien sie Kain majestätisch und wie eine wahrhaftige Kuran. Ihre Aura war dennoch unnahbar, und sowohl ihr Gesichtsausdruck als auch ihre dunklen Augen undurchdringlich. Er fragte sich, was in ihr vorging. Irgendetwas hatte sich an ihr verändert, dass fühlte Kain, aber benennen konnte er es beim besten Willen nicht.
Yukis Augen blickten ins Leere. Etwas in ihr schien erkaltet und erstarrt zu sein, sodass keinerlei Empfindung sich rührte. Gleichzeitig schien etwas Neues erwacht zu sein und pulsierte gleichmäßig unter ihrer weißen durchscheinenden Haut. Prickelnd und dürstend, als wolle es aus dem Gefängnis ihres Körpers ausbrechen. Ihre Macht. Sie war da, sie konnte es spüren. Es war beängstigend und berauschend zugleich. Sie rief sich das Bild des Blutbades, welches sie vor der Villa angerichtet hatte, in Erinnerung. Es war atemberaubend, wenn sie daran dachte, wie jeder Feind ähnlich einer Marionette, die von ihren Seilen zertrennt wurde, in sich gesunken war. Wie eine lange Todessense hatte ihre Kraft sämtliche Körper und deren Lebensfaden zerteilt. Das Gefühl der überheblichen Allmacht überflutete sie. Aber sie musste mit sich kämpfen, dass sie unter Kontrolle bekam. Die Macht wallte wie die Oberfläche eines von Sturm gepeitschten Meeres in ihr auf, drohte zu explodieren. Dennoch fühlte sie mehr und mehr, wie sie diese lenken konnte.
Schließlich war Yuki sich wieder ihrer unmittelbaren Umgebung bewusst und schritt zu dem am Boden liegenden, verwundeten Kaname.
„Er muss vergiftet sein.“, erklärte Kain, als sie neben ihm in die Knie sank. Ihre kraftvolle magische Aura traf ihn wie eine sanfte Wand aus Watte und er spürte die Stärke dahinter. Er wurde an Kanames Macht erinnert, doch dieser hatte seine Kraft immer sorgsam unter Verschluss gehalten. Yuki hingegen war noch unbeherrscht.
Hoffentlich wird das nicht ein Problem., dachte sich Kain.
„Er lebt noch.“, mischte sich Aido in nahezu trotzigem Ton ein und strafte seinen Cousin mit einem bösen Blick, als verbäte er sich und jedem anderen, eine andere Möglichkeit überhaupt in Erwägung zu ziehen.
„Tretet beiseite.“, befahl Yuki in einem ebenmäßigen Ton, der keinen Widerspruch duldete. Die beiden blonden Cousins machten ihr Platz. Yuki beugte sich über ihren Bruder, legte ihre grazilen Hände an seine schweißbedeckten Schläfen, schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie ließ sich einfach von ihrem Instinkt leiten ohne genau zu wissen, wohin es sie führen wollte. Sie spürte, wie ihr Geist sich von ihrem Körper löste, in eine unbekannte Sphäre aufstieg und schließlich in Kanames Bewusstsein eindrang. Es dauerte nicht lange und sie tauchte darin auf der Oberfläche einer Schwärze auf, wie aus einem tiefen Grund eines See.
Ihr zerrissenes nachtblaues Abendkleid hatte sich in ein schlichtes knielanges schwarzes Kleid mit dünnen Trägern verwandelt. Ihr Körper war rein und makellos wie weißer Antikmarmor, kein Staub oder Erdfleck haftete mehr an ihr. In einem nebeligen, grenzenlosen Raum flog sie flügellos dahin. Kein Lufthauch streifte ihren Körper und ließ den fadenscheinigen Stoff ihres Kleides flattern, während sie nach ihm suchte. Schließlich erschien irgendwo am Ende des undefinierbaren Raumes eine silbernes Glimmen. Yuki bewegte sich ohne Zutun schneller auf ihn zu und glaubte ihn schon erreicht zu haben, als aus der Schwärze plötzlich seltsame Schlingen aufpeitschten und nach ihr griffen. Lederartige Seile schlangen sich um ihre Arme, ihre Beine und wanden sich hoch zu ihrer Kehle, wollten sie erdrosseln. Yuki wehrte sich, kam jedoch nicht gegen die schwarzen Schlingen an. Sie rang nach Luft, die nicht da war, und zwang sich schließlich zur Ruhe, um sich zu sammeln. Mit einem Mal explodierte in ihrem Inneren ihre Kraft und die Schlingen wurden einfach von ihr geschleudert. Keuchend fiel sie in den bodenlosen Raum.
„Yuki!“
Kanames Stimme?, fragte sie sich und schlug die Augen auf. Der Kraftverbrauch hatte sie geschwächt. Jemand hatte sie aufgefangen und trug sie auf seinen Armen.
„Yuki!“, wiederholte sich der Ruf und nun erkannte sie ihn deutlich.
„Onii-sama...“ Sie lächelte in sein besorgtes Gesicht, während sie gemeinsam ins Nirgendwo herabschwebten.
„Was tust du hier?“, fragte er.
„Ich wollte dich sehen.“ Sie befreite sich halbwegs aus seinen Armen und fühlte, wie ihre Stärke zurückkehrte. „Dein Körper, er ist-“
„Ich weiß.“ Kaname nickte ernst. „Ich bin vergiftet und habe mich in die tiefste Ecke meines Bewusstseins geflüchtet, damit das Gift meinen Geist nicht erreicht. Aber ich komme hier nicht mehr heraus.“
„Es muss ein Gegenmittel geben!“
„Ich kann nicht so schnell sterben. Es wirkt sehr langsam.“, sagte er ausweichend und erschien ihr seltsam gefasst.
„Ich werde dich niemals sterben lassen, Onii-sama.“, sagte sie mit Nachdruck und packte ihn am Kragen seines schwarzen Hemdes. „Die Hunter! Sie müssen das Heilmittel besitzen. Ich werde es holen.“
„Nein.“ Sein Ton war schneidend und sie sah seine scharfen weißen Reißzähne hinter den vollen rosigen Lippen aufblitzen. „Du bist ihnen nicht gewachsen, Yuki.“ Rot glomm in seinen Augen auf.
„Woher willst du das wissen?“, entgegnete sie. „Meine Macht ist erwacht.“
„Eben darum werden sie dich gefangen nehmen und an Körper und Geist foltern.“
„Dann darf ich mich eben nicht fangen lassen. Ich kann auf mich aufpassen.“, winkte sie lässig ab.
„Ich werde das nicht zulassen, Yuki!“ Seine Hände packten sie hart an den Schultern und hielten sie eisern fest.
„Wie willst du das verhindern, Bruder?“, fragte sie mit einen spöttischen Lächeln, stemmte sich aber gegen ihn.
„Ich kann dich hier festhalten.“ Sein Griff verstärkte sich und sie wand sich heftiger dagegen. Er spürte, dass sie ihm an Kraft kaum noch nachstand.
„Niemals! Hier ist das NICHTS! Ich werde dich auf keinen Fall hier lassen!“ Jetzt überkam sie eine Welle des Zorns.
„Ich will dich nicht verlieren, Liebste.“, sagte er nun sanfter, überrascht und tief berührt von ihren Worten. „Weißt du, wie lange ich auf dich gewartet habe? Und jetzt bin ich nicht einmal mehr in der Lage dich zu beschützen.“ Die Bitterkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Deswegen bin ich jetzt an der Reihe, dich zu retten. Willst du MICH für die nächsten tausend Jahre alleine zurücklassen? Du bist meine einzige Familie!“, warf sie ihm vor und war bereits fest entschlossen. Er sah es in ihren Augen und schwieg.
Plötzlich stellte sie sich auf die Zehenspitzen, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn leidenschaftlich. Er ertrank in der Wärme ihrer Lippen und dürstete sofort nach mehr von ihrem Körper. Atemlos riss sie sich von dem innigen Kuss los, schob ihn von sich und sah ihm fest in die Augen.
„Kaname, ich komme zurück und werde dich retten. Ich verspreche es.“
„Yuki... ich liebe dich.“, erwiderte er eindringlich, als wolle er sie mit diesen Worten zur Vernunft bringen. Er küsste sie erneut, doch sie widerstand seinen Lippen, die sie verschlingen wollten, und drückte ihm einen Zeigefinger auf den Mund. Seine linke Hand hatte sich bereits unter ihr dünnes Kleid getastet und streichelte ihren kühlen Rücken. Schauer unerwarteter Lust überrann sie und Yuki befreite sich rasch aus seinen Armen.
„Ich liebe dich auch, deswegen werde ich diese verfluchten Hunter auslöschen.“
„Auch IHN?“ Es spielte keine Eifersucht mit, als er das fragte. Für heftige Empfindungen war auf dieser körperlosen Ebene kaum Raum.
„Nein.“, sagte sie ehrlich und sah ihren Bruder an, als wappne sie sich gegen seinen Zornausbruch. „Ich liebe ihn auch, Bruder. Er ist mein, so wie ich sein bin. Aber ich gehöre auch zu dir. Ich werde euch beide retten und dann werden wir einen Ausweg finden zusammen zu sein.“
„Mit wem zusammen?“ Traurigkeit huschte über Kanames Gesicht. Diese offenen Gefühlsregungen kannte sie gar nicht an ihm.
„Ich möchte keinen von euch verlieren.“, sagte Yuki sie schlicht, um nicht weiter darüber zu sprechen. Sie hätte nicht gewusst, wie. „Sie haben ihn, Onii-sama. Ich habe sein Blut gerochen. Die Hunter haben ihn mitgenommen. Ich werde für dich das Heilmittel holen und gleichzeitig Zero befreien.“ Er verzichtete darauf zu hinterfragen, ob es überhaupt ein Gegenmittel gibt, sondern murmelte:
„Also gehst du gar nicht für mich.“ So kindisch seine Worte waren, so verbittert war Kaname.
„Hör auf damit!“, befahl sie scharf und war nicht einmal von sich überrascht, ihn anzufahren. Sie widerstand dem Drang ihn wegen seinem kindischen Benehmen zu schütteln. „Ich muss jetzt gehen. Die Vergiftung könnte sich beschleunigen.“
Kaname wollte sie nicht loslassen, packte ihre Hand und zog sie fest in seine Arme. Ihr Körper schmiegte sich perfekt an seinen, als wäre sie die Form und er die Schale. Er küsste ihren schlanken Hals, zog mit seiner Zunge zärtlich eine feuchte Spur über ihre Halsbeuge und ließ sie leicht aufseufzen. Erotische vergangene Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge.
„Meine geliebte Schwester...“, hauchte er in ihr duftendes Haar und tauchte mit den Fingern seiner Rechten in die dicken Strähnen ein.
„Warte auf mich.“, erwiderte sie. Ihre Gestalt verblasste in seinen Armen und Kaname blieb allein im nebeligen Nichts zurück.
Yuki war nur noch ein Schatten der Nacht, ein Zischen des Windes, ein Rauschen, ein Luftzug, als sie in weiten Sprüngen über die Baumkronen und Wipfel hinwegsetzte, zielsicher Zeros Blutduftspur folgend und auf der Fährte der Hunter, seine Entführer. Trotz der Proteste Kains, der als einziger gegen ihr Vorhaben gewesen war, hatte sie die Gruppe zurückgelassen. Sie hatte ihnen aufgetragen sich ein sicheres Versteck zu finden, um ihre Wunden verheilen zu lassen. Und vor allem, um Kaname vor weiteren Feinden und den Häschern Ridos zu beschützen. Dass sie durch die Gruppe nicht belästigt werden oder unter deren verurteilender Beobachtung stehen wollte, hatte sie unausgesprochen gelassen, doch das war unschwer für Kain zu vermuten. Yukis Distanz zu ihnen war sowohl unübersehbar als auch spürbar gewesen. Yuki hatte seinen Protest mit einer harschen Handbewegung erstickt. Dabei war ein unnatürlicher Windstoß aufgekommen und hatte die Baumwipfel in Aufruhr versetzt, sodass er klein beigegeben hatte. Ihre offensichtliche Unbeherrschtheit, die mit sofortiger Wirkung auf ihre Macht Ausdruck fand, könnte ihm im schlimmsten Falle den Kragen kosten, wenn er ihr nicht gehorchte.
Shiki hatte sich widerstandslos Yukis Befehl unterworfen. Zumal er seine Rima, die immer noch bewusstlos war und nirgendwohin konnte, nicht alleine lassen wollte. Seiren hätte ihren Master Kaname sowieso ungerne alleine gelassen, obwohl sie sich deutlich an Kanames Anweisung, im Fall der Fälle Yuki mit ihrem Leben zu beschützen, erinnerte. Die wortkarge Leibwächterin hielt es für das kleinere Übel wider ihres Masters Befehl zu handeln, als sich mit seiner plötzlich ungestümen furchteinflößenden Schwester anzulegen. Seiren war geschickt im körpernahen Kampf, mit oder ohne scharfe Waffen, aber magische Fähigkeiten besaß sie dergleichen keine.
Was Aido betraf, so hätte er sich sowieso geweigert Yuki zu begleiten, selbst wenn sie es ihm befohlen hätte. In ihm wuchs zunehmend der unheilvolle Hass auf die Kurantochter, mit der, seiner gefestigten Meinung nach, Kanames sich überhaupt erst in diesem Todeskampf befand. Er schämte sich nicht bei dem Gedanken, dass sie ihr Ende ruhig alleine finden konnte. So, bildete er sich ein, könnten sie vielleicht umso schneller zu den früheren Verhältnissen zurückkehren wie zuvor.
Der leichte Blutgeruch Zeros wurde stärker, je näher Yuki sich dem Hauptquartier der Hunter näherte. Sie hätte nicht geglaubt, dass die Jäger sich wirklich dorthin zurückziehen würden, da ihnen bewusst sein musste, dass die Feinden diesen Ort kannten. Aber vielleicht bot ihr Hauptquartier den besten Schutz, von denen Yuki nichts ahnte. Es war ihr einerlei. Eine Kaltblütigkeit hatte von ihr Besitz ergriffen und sie gedachte einfach mit ihrer Kraft alles umzupflügen, sodass kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Irgendwie würde sie ihren Geliebten schon finden.
Sie hielt auf einer hohen Fichtenspitze inne, um in die Ferne zu spähen. In ungefähr einem Kilometer Entfernung sah sie die bewehrten Turmspitzen des Hunterzentrums. Sie sprang zum nächsten Baum und kletterte am Stamm entlang wie eine Katze zu Boden, weil es ihr sicherer schien, den Rest des Weges auf der Erde zurückzulegen.
Als sie lief, zerflossen die Konturen ihrer Umgebung zu unförmigen Farbklecksen, weil sie schnell wie ein Pfeil dahin schoss. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch und verlangsamte ihr Tempo. In weniger als einer Sekunde war sie auf den nächstbesten Baum gesprungen und versteckte sich zwischen dessen dichten Ästen.
Sie brauchte das Gesichts des Reiters nicht erst sehen, um zu wissen, wer er war. Sein Geruch war ihr seit sechzehn Jahren mehr als vertraut, obwohl sie diesen noch niemals so intensiv wahrgenommen hatte.
„Direktor Cross.“ Das Pferd scheute vor der bleichen Vampirin, die für das Tier instinktiv als Feind der Lebenden erkannt wurde.
„Schhhhh!“, machte der Reiter, versuchte seine verängstigte Stute zu beruhigen und schlug die Kapuze zurück, die sein silberblondes zu einem Zopf gebundenes langes Haar bedeckte. Yukis Stimme war nicht mehr als ein Hauchen gewesen, doch die Stärke dahinter hatten ihre Worte deutlich an sein Ohr getragen.
„Yuki.“, sagte er mit geweiteten Augen und starrte das notdürftig bedeckte Mädchen an, dessen bleiche Haut die Strahlen des Mondes zu reflektieren schien. Hätte er es nicht besser gewusst, würde er sie glatt für eine durchscheinende Elfe halten. Trotz ihrer übernatürlich schönen Gestalt, verlieh ihre Ausstrahlung ihr eine unheimliche Wirkung. Er spannte sich unwillkürlich an und griff automatisch nach seinem Katana-Schwert, welches links an den Sattelknauf befestigt war.
„Du hast nichts zu befürchten.“, sagte sie und ein belustigtes Lächeln glitt über ihre Lippen. „Vater.“, fügte sie nach einer Pause hinzu. „Du hast mich all die Jahre in deine Obhut genommen, das habe ich nicht vergessen.“
Cross dachte daran, wie oft er sie auf Knien rutschend gebeten hatte, ihn Vater zu nennen, doch jetzt wo er es von seiner völlig veränderten Adoptivtochter hörte, befiel ihn eine seltsame Befremdheit. Es klang nicht richtig.
„Das freut mich.“, erwiderte er nach überdeutlichen Zögern.
„Wohin gehst du?“, verlangte sie zu wissen. Ihre Frage erschien ihm zwingend.
„Zum Hauptquartier der Hunter. Ich muss mit dem Oberhaupt noch einiges... besprechen.“ Seine Wortwahl verharmloste die Angelegenheit offensichtlich, das verriet ihr sein grimmiger Gesichtsausdruck überdeutlich. Von seinem allzu bekannten gutmütigen und sanften Lächeln war keine Spur mehr zu sehen. Zorn und Verbitterung hatten ihn gezeichnet und eine ihr unbekannte Härte an ihm hinterlassen.
„Das ist auch mein Ziel. Sie haben Kaname vergiftet und Zero mitgenommen.“ Sie ersparte sich die offensichtliche Erklärung, was sie folglich vorhatte.
„Kaname wurde vergiftet? Wenn es durch die Waffe passiert ist, von der ich denke, dass sie es ist, dann kann ich dir vielleicht helfen.“, sagte Cross nachdenklich.
Yuki nickte nur, sein Angebot würdigend. Ihre Erhabenheit, die zugleich gepaart mit Arroganz war, verblüffte ihn. Aber er besann sich auf Kanames nicht unähnliches Benehmen und quittierte ihre schweigende Antwort mit einem nicken.
„Darf ich dir meinen Mantel anbieten?“ Er nahm seinen taubenblauen, knielangen Umhang ab und hielt ihn ihr mit ausgestreckten Arm hin. Sein Pferd tänzelte nervös und machte es ihm schwer die Zügel zu kontrollieren. „Nicht, dass du ihn brauchen würdest, aber so wären wir in der Stadt nicht so auffällig.“, fügte Cross mit einem gespielten Lachen hinzu. Yukis Anwesenheit beunruhigte ihn nicht minder als sein Reittier.
Plötzlich wieherte die Stute erschrocken auf und stieg halb auf die Hinterhufe. Yuki war vorgesprungen, hatte den Mantel aus der Hand des Direktors genommen und sofort wieder Abstand zwischen sich und dem verängstigten Tier gebracht. Obwohl ihre Bewegung geradezu sanft und lautlos war, alles war in der Sekunde eines Wimpernschlages geschehen, drohte das Pferd durchzugehen.
Cross erkannte die beste Lösung für seine Stute. Er stieg behende ab, band sein Schwert vom Sattel und nachdem er sich es sich an die linke Hüfte geschnürt hatte, ließ er das Tier laufen.
Ich kann auch zu Fuß weitergehen, soviel kann mein alter Körper noch ertragen., spornte er sich selbst an und hatte das zuversichtliche Gefühl, ein mögliches Problem umgangen zu haben. Tiere konnten einfach die Gegenwart von Vampiren nicht ertragen. Nicht nur war ihre Aura schon furchteinflößend genug, das schlimmste war ihre Magie, dessen zerstörerische Wirkung stets von tierischen Instinkten erkannt wurde.
„Wie steht es mit der Akademie?“, fragte Yuki, nachdem sie eine Zeit lang durch den Waldpfad geschritten waren. Die Dämmerung war nicht mehr fern, Yuki konnte die erste Erwärmung der Sonnenstrahlen spüren.
„Wir wurden angegriffen, aber die Night-Class hat die Schüler beschützt.“, erzählte ihr Adoptivvater. „Weißt du, dass ich dadurch eine gewisse Art von Erfolg in meinem Projekt gesehen habe?“
Sie sah ihn nur an, ihre Augen forderten ihn auf weiterzusprechen.
„Ich konnte dir nie erzählen, dass die Cross-Akademie auf Wunsch einer Person entstanden ist, die dir sehr nahestand.“
Neugierde flackerte in ihren tiefgründigen Augen auf und er war ermutigt weiter zu sprechen. Auch wenn das Gespräch mehr einem Monolog ähnelte.
„Als ich eines Nachts nach einer Jagd verletzt im Schnee lag, fand mich eine wunderschöne Frau. Sie erinnerte mich an Rotkäppchen in ihrem kirschroten Umhang und sie... erwartete ein Kind. Als ich sie sah, dachte ich damals, sie wäre ein Engel. Ein braunhaariger Engel.“ Cross lächelte bei der Erinnerung auf eine so zärtliche Art und Weise, als spräche er über seine vergangene Liebe. „Sie bat mich um einen Gefallen, anstatt sich meiner zu Erbarmen und mich von meinen Verletzungen zu erlösen. Ich sollte für ihr Kind einen Ort erschaffen, wo Menschen und Vampire nebeneinander existieren können. Sie wollte das Kind die Wunder der Erde am Tage sehen lassen und vor allem, dass es die Menschen als etwas anderes als nur Beute wahrnahm. Das Ungeborene warst du.“
Cross hielt im Sprechen inne und sah stur auf den Weg. Yuki neben ihm rührte sich nicht, er konnte rein gar nichts erraten, was in ihr vorging.
„So habe ich die Cross-Akademie gegründet. Ungeachtet allen Gespötts meiner Angehörigen und vor allem des Hunterrates, die mich für einen trotteligen Idealisten hielten. Aber in Wahrheit, denke ich, hatten sie Angst, dass ihre Aufgabe als Hunter gefährdet wäre, wenn ihre gefährlichen Jagdobjekte plötzlich handzahm wurden.“ Verachtung schwang in seinem Tonfall mit.
„Hast du sie geliebt?“, unterbrach Yuki ihn plötzlich.
Nun sah Cross sie doch an – überrascht und nahezu ertappt.
„Meine Mutter Juuri. Hast du sie geliebt?“, wiederholte Yuki sanft, als er nicht sofort antwortete.
„Womöglich.“, sagte er ausweichend. „Ich hatte keine Gelegenheit es herauszufinden, denn ich traf sie nie wieder. Ihr Gefährte war sehr.. sagen wir, beschützerisch.“
Yuki verschonte ihn mit intimeren Fragen, denn sie ahnte die Antwort. Sie sah keinen Sinn darin ihm seine Geheimnisse zu entreißen.
Als sie die Stadt erreichten, in deren Zentrum sich das Hauptquartier der Hunter befand, war die Stadt seltsam wie ausgestorben. Natürlich herrschte noch Nacht, aber das Gefühl eine Geisterstadt betreten zu haben, überkam sie beide.
Yuki schlug sich die Kaputze des Mantel über den Kopf und versteckte ihr Gesicht in dessen Schatten. Zielsicher gingen sie auf der gepflasterte Hauptstraße auf das Stadtzentrum zu. Nichts und niemand stellte sich ihnen entgegen, dabei hatten beide damit gerechnet, gleich gegen eine Barriere von Huntern antreten zu müssen, um sich überhaupt einen Weg hindurchbahnen zu können. Aber nein, sie kamen ungehindert ihrem Ziel immer näher.
Yuki bemerkte zu ihrer Frustration, dass sich Zeros Fährte verloren hatte. Wo war er nur hingebracht worden? Ihr Körper brannte nach Rache und gleichzeitig trieb ihre Sehnsucht nach ihm sie voran.
Mit einer schlichten stemmenden Handbewegung sprengte sie das doppelflügelige Hauptportal des Hauptquartiergebäude auf und sie betraten die hohe weiträumige Eingangshalle. Nichts rührte sich.
Sie wagte sich bis zur Mitte des mit Marmorplatten ausgelegten Bodens vor und sahen sich um.
Sind alle geflohen?, fragte sich Yuki und ließ ihre Sinne auf Wanderschaft gehen, ob sie irgendeine fremde lebendige Aura wahrnehmen konnte. Nichts. Wenn sie da waren, dann hatten sie jegliche Spur vollendet getilgt.
Im nächsten Moment schnappte die Falle zu und ihre Feinde stürzten wie Raubvögel auf sie herab. Mit Schreien und Waffen sprangen sie von allen Seiten aus ihren Verstecken hervor und schlugen auf Yuki und Cross ein. Blitzschnell zog Cross sein Schwert und blockte den nächstbesten Schlag mit einem Hieb ab. Metall klirrte auf Metall, während er sich gleich drei Gegnern auf einmal erwehren musste. Den einen streckte er mit einem Hieb in die Kehle nieder, den zweiten stach er nachfolgend mitten ins Herz und den dritten säbelte er von der Taille bis zur Schulter auf. Mit schmerzverzerrten Ausdruck sanken seine Gegner zu Boden und hauchten ihre Seele aus.
Die Übermacht der Feinde war vorgetäuscht. Es griffen sie nur zwölf Hunter an, doch sie waren immer noch in der Übermacht. Für Yuki schien es jedoch keine Herausforderung darzustellen. Sie war von fünf Männer und drei Frauen umzingelt, die ihre scharfen Waffen auf sie richteten. Ihre Magie pustete sie einfach von den Füßen wie trockenes Laub vom Wind. Manche überlebten die Wucht ihres Aufpralls gegen die Wand, manche nicht. Der Kampf war schnell beendet.
Yuki sah sich um und erblickte einen röchelnden Hunter unweit von ihr liegen. Von unsichtbaren Kräften an ausgestreckten Armen und Beinen empor gehoben, wurde er zu ihr gebracht.
„Wo ist Zero?“, fragte sie ihn, doch der Hunter warf ihr nur einen hasserfüllten Blick zu, während er gegen seine unsichtbaren Fesseln ankämpfte. Das Blut, welches an seiner Schläfe herablief, reizte Yukis Durst, doch sie beherrschte sich.
„Wo ist Zero?“, wiederholte sie erneut mit nachdrücklicher Betonung jedes Wortes, wobei ihr kurzer Geduldsfaden zu reißen drohte. Sein beharrliches Schweigen entfachte ihren Zorn und plötzlich entfuhr ihm ein Schmerzensschrei, weil seine vier Gliedmaßen auseinander zu reißen drohten. Wenn er nicht antwortete, würde Yuki ihn ohne Wimpernzucken vierteilen.
„Yuki!“ Cross zog seine ausgestreckte Hand zurück, kurz bevor er sie nach alter Gewohnheit an der Schulter fassen wollte. „Ich glaube ich weiß, wo er ist. Der Hunter ist noch auf einer niedrigeren Rangstufe, er kann es nicht wissen.“
Das tätowierte Abzeichen links an der entblößten Brust des Mannes hatte ihm dessen Rangordnung verraten. Sofort ließ Yuki von ihrem Gefangenen ab, wie ein Kind, dass das Interesse an seinem Spielzeug verloren hat, und dieser stürzte aus vier Meter Höhe schwer zu Boden. Sie folgte Cross, der hastig in den rechten Seitenflügel des Gebäudes rannte. Er machte vor einer schmalen Holztür, die absurderweise aussah, als würde sie in eine Abstellkammer führen, Halt. Zu ihrer Überraschung entfernte er anschließend den silbernen Metallknauf seines ledergebundenen Schwertgriffs und förderte einen an den Knauf geschweißten, ab der Norm großen Schlüssel zu Tage. Mit diesem öffnete er die Tür und sie fanden eine steile Wendeltreppe vor, die tief in die Erde zu führen schien. Es gab kein Geländer, die kaum einen Schritt breiten Stufen schienen aus der Granitwand gehauen zu sein. Man musste dicht an ihr laufen, um nicht kopfüber in dem Schacht zwischen den Treppenwindungen hinunter zu stürzen. Ein dickes Tauseil war an der Decke befestigt und fiel hinab in die schwarze Tiefe. Yuki zögerte nicht lange, warf den Mantel von ihren Schultern, sprang in den Schacht und überließ ihren kerzengeraden Körper dem freien Fall. Cross folgte ihr mit einiger Verspätung, auch wenn ihm bei der Enge und unabschätzbaren Tiefe des Abgrundes die Sinne zu schwanken drohten.
Ich habe nichts mehr zu verlieren!, sagte er sich und steckte sein Schwert in die Scheide, nachdem er den Geheimschlüssel wieder an seinen ursprünglichen Ort gebracht hatte. Er holte tief Luft, packte das raue Seil zuerst mit beiden Händen, ließ sich danach Kopfüber mit geraden Körper nach unten hängen und mit dem Seil zwischen den Füßen geklemmt wie er es in seiner Hunterausbildung vor etlichen gelernt hatte, glitt er in deutlich langsamerer Geschwindigkeit als Yuki ebenfalls hinunter.
Obwohl Yuki nicht lange fiel, spürte sie, dass sie sich sich tief unter dem Erdboden befanden. Hier vernahm ihre Nase wieder eine Duftspur ihres Geliebten und sie folgte diesem durch einen angrenzenden Gang. Sie hatte weder Zeit auf Cross zu warten noch wusste sie sicher, ob er ihr überhaupt folgte. An den meisterhaft glatt behauenen Wänden entdeckte sie mehrere Fackeln in eisernen Halterungen. Diese Fackeln entzündete sie mit einem magischen Feuer, welches von blauer Farbe war. Das echte Feuer war ein natürlicher Feind der kalten Geschöpfe, deswegen hatten sie keine Kontrolle über das Element Feuer. Wasser, Luft und Erde hingegen war für sie ungefährlich. Yuki selbst hatte kein Licht nötig, obwohl selbst ihr übernatürlich scharfes Sehvermögen die stockdunkle Finsternis nicht durchdringen konnte. Aber ihr Tast- und Gehörsinn reichten aus, um ihren Weg zu finden. Als sie aus dem langen Gang heraustrat, fand sie sich in einer Kreuzung mit drei weiteren Gängen wieder. Das Ganze musste ein regelrechtes unterirdisches Labyrinth sein. Sie schloss die Augen und sandte einen lautlosen Ruf los.
Zero! Geliebter! Wo bist du?, rief sie in Gedanken. Zuerst kam keine Antwort und sie rief erneut seinen Namen. Zero? Wo bist du? Antworte mir!
Yuki?, kam es plötzlich schwach in ihrem Kopf zurück und sie begann zu laufen, instinktiv dem Ruf folgend.
Ich komme!, sagte sie ihm.
Zero war von Yukis metalem Ruf aus einer tiefen, wer weiß wievielten Ohnmacht erwacht, die ihn übermannt hatte. Seine Entführer hatten ihm irgendeine Droge gespritzt und er konnte seine Glieder weder spüren noch bewegen. Er war an Händen und Füßen gestreckt an die Wand gekettet. Das alte Eisen hatte seine Haut aufgerissen, doch Dank der Droge spürte er die Schmerzen weniger als es hätte sein sollen.
Was war das?, fragte er sich schnaufend und versuchte zumindest den Kopf zu heben. Für einen Moment lang, hatte er sich eingebildet Yukis Stimme zu hören. Das ist unmöglich...
Als seine Sinne sich zu klären begannen, spürte er sofort, dass er nicht alleine war. Irgendetwas lag unweit von ihm auf der Lauer.
Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zu ihm zurück: Eine monströse Gestalt hatte sich an ihm gelabt. Prompt stellten sich auch die Schmerzen ein, als er daran dachte. Er war in die Brust gebissen worden, in die Halsader, an den Pulsadern seiner Handgelenke. Jemand, etwas hatte von seinem Blut getrunken. Er war blutverschmiert.
„Na, bist du wieder zu dir gekommen, lieber Kiryuu-kun?“, sprach ihn plötzlich eine säuselnde Stimme von der Seite an. Zeros Augen weideten sich, als er die Gestalt erkannte. Es war das Oberhaupt des Hunterrates! Er war sich nie sicher gewesen, ob unter dem wallenden kostbaren Gewand ein Mann oder eine Frau steckte. Die Stimme war viel zu weich und hoch, als dass sie einem Mann gehören könnte. Ebenso waren Gesichtszüge des obersten Hunters androgyn. Er hatte ein schmales Gesicht mit ebenso schmalen Augen, deren Ausdruck emotionslos, unbarmherzig, kaltblütig und gierig war. Zero fragte sich nur, nach was?
„Sie kommen.“, sagte der Hunter, als spräche er zu sich selbst. „Meine letzten zwölf Jäger haben sie getötet und sie sind hier. Sie ist hier. Und sie läuft direkt in meine Arme, hahahaha!“ Er strich sich mit einer eitlen Geste die zerzausten, weißen Haare glatt. Zero hätte gefragt, was er vor hatte, aber er war zu schwach. Er spürte nicht einmal seine eigenen Lippen, geschweige denn konnte er Worte formen. Ihm kam die sichere Vermutung, wer von seinem Blut getrunken hatte. Jemand anderes kam nicht in Frage.
Yuki! Bleib wo du bist! Das ist eine Falle!, rief er lautlos, obwohl sein Verstand es noch nicht wagte zu glauben, dass sie wirklich hier war. Wie konnte er diesem Feind, dem er glaubte vertrauen zu können, Glauben schenken? Gott, warum war er nur so schwach?
Gott? Ha! Gott hat mich verlassen und verraten., fiel ihm daraufhin verbittert ein.
Aber ich nicht!, widersprach in seinem Kopf jemand und er blinzelte.
„Was ist?“, verlangte der Hunter zu wissen als er Zeros befremdlichen Ausdruck gewahrte.
Yuki?, fragte Zero und konnte es nicht glauben. Sie konnte nicht wirklich hier sein!
Ich komme. Halte durch, Liebster., sagte sie nun eindringlicher und er meinte verrückt zu sein. Warum wurde ihre Stimme in seinem Kopf immer deutlicher?
Der Hunter vermeinte ein Geräusch wahrzunehmen, sprang mit wehendem Gewand hoch zur Decke und verschmolz in einem Winkel des Gesteingewölbes mit der Dunkelheit. In Zeros Gefängnis brannten drei in Wandhalterungen gesteckte Kerzen, die nur spärlich Licht spendeten. In dem rundgeschnittenen Raum gab es nur einen Ausgang, der zugleich Eingang war. Zwangsläufig musste Yuki durch diese eine metallbeschichtete Tür kommen.
Nein!, rief er gedanklich aus und versuchte an seinen Ketten zu reißen. Es machte keinen Sinn, denn er hatte einfach zu wenig Kraft.
Plötzlich flog die Tür einfach auf, löste sich komplett aus ihren Angeln, als hätte ein Riese sie mit dem Fuß eingetreten. Yuki tauchte in der Mitte des Gefängnisses auf, als wäre sie aus dem Nichts erschienen.
„Pass au-!“, versuchte er sie krächzend zu warnen, doch der versteckte Jäger war schon auf seine Beute herabgesprungen. Seine Zähne schlugen sich tief in Yukis Hals. In ihrer Freude ihn endlich gefunden zu haben, hatte sie weder Augen noch Ohren für etwas anderes als Zero gehabt und deswegen kam der Angriff für sie regelrecht vom Himmel her – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Wucht des feindlichen Aufpralls, schleuderte sie beide zu Boden. Es war zu spät sich mit Magie zu schützen, sie musste sich auf ihre rohe Körperkraft verlassen. Vorerst benebelte sie aber der explosionsartige höllische Schmerz, als der Angreifer sich mit einem ekelerregenden Geräusch in ihr elfenbeinfarbenes Fleisch fraß und sie aussaugen wollte.
Nach der ersten Schrecksekunde besann sich Yuki sofort.
„Raaaah!“ Mit einem zornigen Schrei, der nicht menschlich war, verwandelten sich ihre Hände zu Klauen, griffen nach dem Feind und schleuderten ihn von sich. Dieser schrie markerschütternd auf, noch dazu in einer klirrend hohen Tonlage. Genüsslich und gepeinigt zugleich, wischte er sich den blutverschmierten Mund ab, der sich zu einem häßlichen Maul verzerrt hatte. Gelbe, lange Reißzähne, gegen welche ein Wolfsgebiss noch harmlos gewirkt hätte, zeichneten sich darin ab.
„Dein Blut ist köstlich!“, knurrte er mit einem größenwahnsinnigen Ausdruck in den krankhaft gelbglühenden Augen, zähnefletschend nach mehr gierend. „Und viel machtvoller als seines!“ Er deutete verächtlich auf Zero. „ Ich hatte gedacht, dass sein Blut durch deines ebenso machtvoll ist, aber er ist nichts außer ein billiges Schlammblut!“
Yuki keuchte, während sie sich an ihre tiefe Bisswunde zwischen dem Hals und der rechten Schulter fasste. Der hohe Blutverlust hatte sie überaschend geschwächt, sie taumelte und versuchte sich krampfhaft zusammenzureißen. Im direkten Nahkampf mit einem anderen Vampir hatte sie wenig Erfahrung. Nicht einmal als Mensch hatte sie diese gemacht. Die Wut auf sich selbst, nicht schnell genug reagiert zu haben, und gleichzeitig auf diesen dreckigen Vampir, der ihr nicht einmal das Wasser reichen konnte und sie trotzdem erwischt hatte, befiel sie und sie stürzte nun ihrerseits auf ihn los. Ihr Macht flammte durch ihren Zorn verstärkt so heftig auf, dass die Erde merklich erbebte. Risse zeigten sich knarzend im Gestein und einzelne Brocken lösten sich aus der Wand.
Yuki! Halt! Du begräbst uns sonst!, rief Zero ihr gedanklich zu. Mittlerweile konnte er schon seine Hände spüren und riss stärker an seinen Ketten.
Sie hatte seine Warnung gehört und versuchte sofort ihrer Kraft Einhalt zu gebieten. Allerdings war sie sich unsicher, wie sie den Hunter nun töten sollte. Diesem entging ihr Zögern keineswegs. Blitzschnell nutzte er die Chance und stürzte sich ein zweites Mal auf sie. Sein ganzer Körper hatte nun die Gestalt eines alptraumhaften Monster, einem irischen Guhl gleich, angenommen und seine spitzen Klauen und Krallen streckten sich nach Yuki aus. Instinktiv lenkte sie seinen Angriff einfach weiter und ließ ihn mit aller Wucht gegen die Wand donnern.
„Ich werde dein Blut trinken! Deine Macht übernehmen und ich werde die Welt regieren!“, kreischte das grausige Geschöpf, bereits größenwahnsinnig geworden und deswegen seiner Kraft übermäßig sicher. Yuki nutzte die Atempause und riss mit einer telepathischen Handbewegung Zeros Ketten aus der Wand. Stöhnend fiel er zu Boden und versuchte sich dennoch sofort aufzurappeln. Die Droge in seinem Blut hinderte ihn daran die dornige Bloody Rose anzuwenden. Es wäre ein leichtes gewesen, das vampirische Monster im wahrsten Sinne des Wortes zu Hackfleisch zu verarbeiten. Seine eigene Hilf- und Machtlosigkeit erweckte den Hass auf sich selbst.
Schützend stellte sich Yuki vor ihren Geliebten, mit zusammengekniffenen Augen abwartend auf den nächsten Angriff. Langsam, als genieße er bereits seinen Triumpf, kam ihr riesenhafter Gegner auf sie zu geschlurft.
„Na, Vampirprinzessin? Ist das schon alles? Wo ist deine Allmacht? Zeig sie mir!“, forderte er sie gehässig auf, doch sie durfte sich nicht provozierend lassen, wenn sie nicht sich selbst und Zero gefährden wollte. Sie zweifelte daran, ob ihre Macht ausreichte, sich rechtzeitig herauszubringen, wenn das Gefängnis zu ihrem Grab werden sollte. Vampire brauchten nicht atmen, aber unter massiven Gesteinsbrocken zerquetscht werden wohl. Es würde kein Raum übrigbleiben, um sich zu regenerieren. Wenn sie Pech hatte, konnte sie bis in die Ewigkeit feststecken und unter unendlichen Qualen ihrer zerschmetterten Gliedmaßen leiden.
Yuki machte sich zum Sprung bereit, um das dreiste Monster einfach in Stücke zu reißen. So barbarisch die Lösung war, sie war die einfachste. So weit kam es jedoch nicht.
Ihr Feind gab plötzlich einen erstickten Laut von sich und riss seine Augen mehr verblüfft als erschreckt auf. Dann fiel er einfach lautlos in drei zerschnittenen Einzelteilen in sich zusammen, während sich sein schwärzliches Blut in Fontänen auf den Boden ergoss.
„Du warst der Drahtzieher hinter alledem. Du hast die Huntergemeinschaft in den Abgrund getrieben und Schande auf unsere heilige Aufgabe gebracht.“, sagte Cross verächtlich und spuckte mit unterdrückter Wut auf den ehemaligen sterbenden Oberhaupt der Hunter. Mit grimmiger Miene wischte er die scharfe, leicht gebogene Klinge seines Katanas an seiner Hose ab. Über und über vollgespritzt von Blut, glich er in seiner erhabenen Kampfhaltung einem Kriegsfürst aus alter Zeit.
„Direktor.“, wagte es Yuki schließlich ihn anzusprechen, nachdem sie ihn schweigend betrachtet hatte.
„Er hat dir wehgetan.“, sagte er daraufhin und sah sie mit einem mal sorgenvoll an. Die zuvor vorhandene Härte in seinem Ausdruck verblasste merklich.
„Es heilt bald.“ Sie sah ihn sekundenlang nur an, dann stahl sich ein flüchtiges Lächeln auf ihre Lippen, bevor sie sich Zero zu wendete, der keuchend an der Wand gelehnt war und gegen seine Schmerzen ankämpfte. Die Lähmung wich allmählich aus seinen Gliedern und sein Körper schien in Flammen zu stehen, als er wieder zum Leben erwachte.
„Wir bringen dich hier raus, Liebster.“, sagte Yuki mit zärtlicher Stimme und hauchte ihm einen Kuss auf die schweißbedeckte Stirn.
„Yuki...? Bist du... es wirklich oder... nur ein Trugbild... meines wahnsinnigen Gehirns?“, ächzte er und hustete anschließend.
Lächelnd nahm sie seine zitternde Hand und führte sie an ihre Wange, sodass er sie fühlen konnte.
„Ich bin es. Ich habe doch versprochen, dass ich zurückkomme.“
„Mir kommt es vor, wie eine Ewigkeit...“, murmelte Zero und zog sie trotz seiner Schmerzen in seine zerschundenen Arme.
Cross beobachtete wortlos die beiden, die einmal seine Kinder waren. Wann hatten sie begonnen sich mit anderen Augen zu sehen? Er wagte es kaum zu atmen, aus Angst ihre traute Atmosphäre zu zerstören. Er hatte kein Recht mehr, etwas zu sagen. Die beiden waren nun außerhalb seiner Reichweite. Sie gehörten nicht einmal mehr in seine Welt.
Schließlich erinnerte sich Zero wieder daran, dass er und Yuki nicht alleine waren, und sagte:
„Yuki, Direktor. Ruka, sie ist hier irgendwo. Die Hunter haben sie verletzt gefangengenommen und auch angekettet.“ Er gab Yuki ein wenig Raum zur Bewegung, aber völlig aus seiner Umarmung entlassen konnte er sie nicht. Die Angst, sie wieder zu verlieren, lauerte noch in ihm.
„Wo?“, fragte Cross.
„Ich bin mir nicht sicher.“, war die Antwort. Ohne die heftigenn Schmerzen, hätte Zero die Schultern gezuckt.
„Es gibt nur ein paar Verließe, die in Frage kommen.“, sinnierte Cross und machte auf den Absatz kehrt. Lasst uns nachsehen und dann so schnell wie möglich wieder auf die Erde kommen. Wer weiß, was da oben vor sich geht.“ Er wollte nicht den Teufel an die Wand malen, aber der Gedanke lag nun mal nahe.
Sie mussten nicht lange suchen. Yuki konnte Rukas schwache Blutspur ausmachen und sie fanden sie auf einem Steinblock gelegt und an den Füßen angekettet liegen. Ihr Ausdruck war so friedlich, als würde sie schlafen. An der Stelle, wo ihr Herz hätte sein sollen, befand sich ein faustgroßes Loch.
„Sieht Kanames Wunde so ähnlich aus?“, fragte Cross Yuki und sah sie eindringlich an.
„Ja. Aber er wurde am Rücken getroffen.“
„Dann hat er noch etwas Aufschub, ehe das Gift sein totes Herz erreicht.“
„Was meinst du damit?“, fragte Yuki alarmiert.
„Für Ruka können wir nichts mehr tun. Aber vielleicht ist es für Kaname noch nicht zu spät. Sein reines Blut und seine Magie machen ihn widerstandsfähiger. Ruka wurde hingegen, hat nicht so viel Macht und dadurch Schutz. Ihr Herz wurde getroffen und in der Zeit hat es einfach zersetzt. Vom Herzen aus, führen alle Blutgefäße und dadurch breitet sich das Gift schneller aus. Ihr Körper zerfällt nach und nach bis nichts mehr davon übrig ist. So ist die weiterentwickelte Wirkung. Es greift jede einzelne Zelle, ob tot oder lebendig, an. Hier-“ Er hielt ein verkorktes Fläschchen mit einem mintgrünen Inhalt. „Ich habe das Gegengift im unterirdischen Labor gefunden.“ Weitere Erklärungen gab er nicht ab und keiner fragte danach. Yuki genügt schon die Hoffnung, dass ihr Bruder zu retten war.
Stattdessen betrachtete sie wortlos die gottgleiche Gestalt von Ruka. Ihr für gewöhnlich üppiges, goldblondes Haar war von dem Kampf vor der Villa mit Blut durchtränkt und dennoch war sie unvergleichbar schön. Ihre ineinander gefalteten Hänge wirkten wie durchsichtiges Porzellan, das jederzeit in tausend und abertausende Scherben zerbrechen konnte. Es war weniger Rukas Auslöschung als der Affront der Hunter mit einer solch diabolischen Waffe Vampire zu bekämpfen, welches kalte Wut in ihr entfachte. Das konnte und wollte sie nicht ungestraft davon kommen lassen.
„Ich werde sie alle auslöschen, die Hunter. Ich werde ihr Heim dem Erdboden gleich machen. Wie viele von ihnen sind noch am Leben?“, verlangte sie von Cross zu wissen. Er sah die Luft um sie herum flimmern, als bahne sich etwas enorm Gewaltigtätiges an.
„So viel ich weiß, nur einer.“, sagte er bedächtig.
„Wo ist er?“
„Vor dir.“
Ihre Augen blinzelten überrascht auf, als sie sich der Bedeutung seiner Worte bewusst wurde.
„Nein.“, sagte sie schließlich überzeugt. „Du bist keiner von ihnen.“
„Doch. Meine Familie ist einer der ältesten der Huntergenerationen.“, widersprach er und verwirrte ihren Zorn. Darauf wusste sie keine Antwort.
„Warum bist du hier?“, fragte sie schließlich, während sie Zero weiterhin stützte. Dieser hörte aufmerksam zu und wagte es nicht sich einzumischen.
„Ich hatte gehofft, du könntest mir die Antwort geben.“ Cross blickte ihr starr in die Augen, sein Gesicht zu undurchdringlich, um seine Gedanken zu ahnen. Sein Schwert steckte in seiner schwarzen Scheide und er strahlte mit keiner Faser eine Bedrohung aus.
„Ich kann dir keine Anwort geben. Ich weiß nur, dass du leben sollst. Genauso wie Zero und Kaname. Ihr seid mir das Liebste auf der Welt und ich...“ Sie stockte, weil ihr tatsächlich die Worte fehlten. Ein wehmütiges Lächeln erschien auf Cross' Lippen. Seine menschliche Adoptivtochter Yuki Kurosu hätte in diesem Moment geweint, das war er sich sicher. Aber die stolze Yuki Kurantochter konnte es nicht mehr.
„Dann werde ich leben.“ In diesem Moment fällte er eine Entscheidung in seinem Herzen. Ja, ich werde leben., sagte er sich. Ich werde leben und deinen Nachkommen, Yuki, einen Ort erschaffen, wo sie lernen die Menschen zu verstehen. Ich werde den Nachkommen deiner Art ein Heim bieten, so wie ich es dir geboten haben. So wie deine Mutter, die ich liebte, gewünscht hat. Ich werde eine neue Akademie gründen. Wir machen einen Neuanfang.
Er musste es nicht laut wiederholen, denn diesmal konnte sie seine Gedanken hören.
„Ich werde dir dabei helfen. Wir werde dir dabei helfen.“ nickte Yuki und sah zwischen Cross und Zero hin und her. Zero signalisierte sein Einverständnis mit den Augen und sie drückte seine Hand. Endlich machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Erdoberfläche. Kaname wartete auf sie.